Jeck? War der Kölner schon in der Römerzeit.

Die Saturnalien – Blaupause für den Kölner Straßenkarneval?

Als Kolonie hatte Köln das Recht, die gleichen Feste zu feiern wie Rom. Dazu gehörte unter anderem das Fest der Saturnalien. Es war ein wichtiges Freudenfest der antiken Welt und sollte an die Zeit der Herrschaft des Gottes Saturn erinnern, in der es noch keine Sklaven gab. Ursprünglich waren die Saturnalien die Feierlichkeiten zum Abschluss des Bauernjahres und der Winteraussaat zu Ehren des Saturn, der vor allem der Gott des Ackerbaus war.

    Seit 217 v. Chr. begann das Fest mit einem Opfer und einem großen Gelage (lectisternium – feierliches Göttermahl) am Saturn-Tempel in Rom. Die Überreste des zweitgrößten Tempels dominieren noch heute die südwestliche Ecke des Forum Romanum. Die Feierlichkeiten zogen sich bis tief in die Nacht und waren das beliebteste römische Fest des Jahres. Anfangs auf den 17. Dezember beschränkt, dehnten sich die Saturnalien später auf eine ganze Woche aus, noch später sogar bis zum 30. Dezember.

    „Auf dem Land und in den Städten feiern alle fröhlich mit Schmausereien und jeder bedient seine Sklaven. So auch wir Römer, und wir haben von dort auch die Sitte übernommen, dass an diesem Tag Sklaven und Herren gemeinsam speisen“, schrieb Lucius Accius (170 bis 86 v.Chr.) in seinen Annalen, die sich mit den römischen, religiösen Festen beschäftigten.

Feiernde Römer beim Saturnalienzug in der Colonia – Praetorium und carrus navalis im Hintergrund
Feiernde Römer beim Saturnalienzug in der Colonia – Praetorium und carrus navalis im Hintergrund

Während der Saturnalien ruhte die Arbeit in der ganzen Colonia Claudia Ara Agrippinensium (Köln) und die Schulen blieben geschlossen, kurz: Etwas Wichtiges zu tun, war an diesen Tagen verboten. Alle waren fröhlich. Es wurde getrunken, gesungen, getanzt, gescherzt und gelärmt. Die Stadt, deren Hierarchie sonst klar abgesteckt war, befand sich für ein paar Tage im Ausnahmezustand. – Quasi der frühe Kölsche Fastelovend. – Die freien Römer trugen statt der Toga, die sie als Bürger auswies und ihnen damit einen hohen Rang bescheinigte, die Filzkappe der freigelassenen Sklaven. Die Sklaven wiederum ließen sich an den wilden Tagen um den 17. Dezember von ihren Herren bedienen. Der Wein floss in Strömen. Ein für die Zeit der Festtage ernannter Saturnalienfürst, auch Rex Bibendi (Trinkerkönig) genannt, forderte seine Anhänger beispielsweise zum Ablegen der Kleider auf. Was danach in Köln geschah, bleibt der Fantasie überlassen ...

Zu dem Fest gehörte auch ein Umzug, in dem ein Schiffskarren, der carrus navalis, durch die Colonia gezogen wurde. – Eventuell leitet sich das Wort Karneval von diesem kultischen Karren ab, aber da sind sich die Historiker uneinig. Die geläufigste Erklärung nimmt Bezug auf die Fastenzeit als fleischlose Zeit und leitet den Karneval von carne vale, also in etwa Fleisch, lebe wohl her. Als jecke Kölnerin gefällt mir die erste Variante natürlich besser.

    Dieser Schiffskarren war ein kunstvoll gezimmertes Schiff, welches auf einem Wagen befestigt durch die Straßen gezogen wurde. – Quasi der erste Karnevalsumzug. – Das Schiff war bunt bemalt und Figuren der Göttinnen Isis (ägyptisch) und Nerthus (germanisch) wurden darauf mitgeführt; beide waren Gottheiten der Fruchtbarkeit. Der Schiffskarren wurde von verkleideten und lärmenden Menschen begleitet, währenddessen gab es Musik von Zimbeln, Flöten und Rasseln. Vielleicht sollte damit der Tod vertrieben werden, denn die Göttin Isis hatte auch eine magische Verbindung ins Reich der Toten.

    Hier wurde mit Übermut gegen die Vergänglichkeit angekämpft und das Leben gefeiert. – Ausuferndes Partymachen beim Straßenkarneval ist also keinesfalls eine Erfindung der Neuzeit, sondern hat eine zweijahrtausendealte Tradition in Köln.  Der Ausnahmecharakter dieser Tage wurde auch durch ein Sprichwort verdeutlicht: Non semper, Saturnalia erunt. Was übersetzt bedeutet: Die Saturnalien werden nicht ewig dauern, oder wie der Kölner sagt: Am Aschermittwoch ist alles vorbei, oder: Nix bliev wie et wor.

   

Noch bis ins 4. Jahrhundert nach Christus wurden die Saturnalien gefeiert und endeten erst unter Kaiser Konstantin, während dessen Herrschaft der Aufstieg des Christentums zur wichtigsten Religion im Imperium Romanum begann.

    Nun standen die Römer vor einer ganz neuen Herausforderung. Die alten Bräuche und Sitten, die mit der Anbetung heidnischer Götter einhergingen, waren der christlichen Kirche suspekt. Sie versuchte die Feste zu verbieten, war jedoch erfolglos. Vieles wurde deshalb in den christlichen Kontext übernommen und integriert. Dazu gehörten auch die Saturnalien und der keltisch-germanische Brauch zur Vertreibung böser Winterdämonen im Frühjahr. Die Bräuche wurden vermischt, in die christliche Liturgie eingebettet und zeitlich genau vor den Beginn der Fastenzeit gestellt. Damit blieben die heidnischen Masken und Verkleidungen zwar erhalten, der Sinn und die symbolische Bedeutung aber wurde den christlichen Bedürfnissen angepasst. Die Fastnacht war entstanden.

    Während manche Züge der antiken „tollen Tage“ im heutigen Kölner Straßenkarneval fortleben, ging ein anderer Brauch der Saturnalien auf das christliche Weihnachtsfest über: Man beschenkte sich gegenseitig. Besonders von den Wohlhabenden wurden wertvolle Gaben erwartet. Ursprünglich waren Tonpuppen (sigillaria) und Kerzen (cerei) rituelle Saturnalien-Geschenke, später erweiterte sich die Auswahl der Gaben um Gewürze, Gemüse oder Obst, Fleischwaren und Fisch über Haushaltswaren bis hin zu Kleidung oder Kosmetika.

    Die deutlichen Einflüsse auf das heutige Weihnachtsfest sind wohl auch in der Vermischung mit dem nahen Fest der Wintersonnenwende zu erklären. – Aber eventuell wirkte sich dies nicht nur auf das Weihnachtsfest aus, denn auch bei den Kölner Karnevalsumzügen ist es bis heute guter Brauch, kleine Geschenke in Form von Kamelle und Strüssjer (Süßigkeiten und Blumen) unter das feiernde Volk zu werfen.

… schrieb Johann Wolfgang Goethe in seinem Werk „Italienische Reise – Kapitel 3, Das Römische  Carneval“.
… schrieb Johann Wolfgang Goethe in seinem Werk „Italienische Reise – Kapitel 3, Das Römische Carneval“.

Während der Fastenabend im Mittelalter wörtlich genommen wurde, nämlich als der Abend vor einer langen Fastenzeit, dehnte sich das Fest im Laufe der nachfolgenden Jahrhunderte aus. Und das Fastnachtstreiben nahm teilweise derart unliebsame Formen an, dass die Stadt nicht mehr bereit war, Zuschüsse für das Fest zu leisten. Wiederholt wurde das Fest sogar verboten. Man fürchtete jedoch weniger die gesunkene Moral, sondern dass unter dem Deckmantel der Narrenkappe Diebe Köln unsicher machen könnten. Diese Angst war wohl begründet.

    Den ersten urkundlichen Beleg für die Stadt Köln stellt der Eintrag im städtischen Eidbuch aus dem Jahr 1341 dar, der die Finanzierung von Gesellschaften am Fastnachtsdienstag aus städtischen Mitteln untersagte. 

Digisat: Aus dem Eidbuch von 1341, Historisches Archiv der Stadt Köln
Digisat: Aus dem Eidbuch von 1341, Historisches Archiv der Stadt Köln
Vergrößerter Ausschnitt: Unter Punkt XXIX heißt es: „Ever sal der rait zu vastavende zu geinre  geselschaf volleyst geven van der steede gude“ – Weiterhin soll der Rat zu Fastabend keiner  Gesellschaft aus städtischem Gut Zuschüsse gewähren.
Vergrößerter Ausschnitt: Unter Punkt XXIX heißt es: „Ever sal der rait zu vastavende zu geinre geselschaf volleyst geven van der steede gude“ – Weiterhin soll der Rat zu Fastabend keiner Gesellschaft aus städtischem Gut Zuschüsse gewähren.

Ab dem 17. Jahrhundert waren die Zünfte die tonangebende Schicht im Karnevalstreiben. Tanzende und spielende Gesellenbanden zogen zu öffentlichen Plätzen und vor die Häuser reicher Bürger, nahmen dabei in witziger Persiflage alles aufs Korn, was Anlass zum Spott bot. Zum Dank wurden sie bewirtet. Auch dieser Brauch führt wieder zurück zu den Saturnalien, bei denen die freien Römer die Sklaven bedienten.

    Auf dem Wiener Kongress 1815 wurde das Rheinland dem preußischen Königreich zugesprochen. Dadurch wurden die zuvor französischen (wegen Napoleon) Kölner widerspenstige Preußen. Zunächst erlaubten die Preußen den Karneval. Aber unter der Narrenmaske wurde ziemlich viel Unfug getrieben und viele Masken waren derart unmoralisch und taktlos, dass befürchtet wurde, die Preußen würden den Karneval wieder verbieten. Ohnehin taten sich die Kölner schwer mit den preußischen Begriffen von Disziplin und Ordnung, die sie mit ihrer Lebenseinstellung nicht in Einklang bringen konnten. Der Kölner war nie ein Untertan und auf alles, was seiner Auffassung von Freiheit widersprach, reagierte er mit Spott und Ironie. Eine Tatsache, die die Preußen verärgerte.

    Aus diesem Grund ergriffen einige Männer der Oberschicht die Initiative, um den Karneval zu reformieren: Held Karneval regierte ab sofort. (Ab den 1870er Jahren wurde aus dem Held ein Prinz mit Bauer und Jungfrau als ständige Begleiter.) Dies war die Geburtsstunde des Festordnenden Comités und die Erneuerung des Karnevals. Resultat: Die Kölner Jecken nahmen die Preußen zwar fortan kräftig auf die Schippe, aber die Preußen waren zufrieden.

    Die Saturnalien werden übrigens in Köln wieder gefeiert, nämlich an der Universität Köln, als jährliches Theaterstück in der Vorweihnachtszeit, bei dem Studierende des Instituts für Altertumskunde (IfA) in die Rollen der Dozierenden schlüpfen.

 

Heute ist der Kölner Karneval ein Marken-Event, der auf Kommerz und Massentauglichkeit ausgerichtet ist. Aber im Straßenkarneval ist – nach wie vor – dank der Tanz-, Sing- und Bastelfreuden der Kölner Jecken ein heidnischer, anarchistischer Anklang spürbar geblieben, oder wie der Kölner sagt: Jede Jeck es anders!

Jecke Vielfalt, 3x Kölle Alaaf!
Jecke Vielfalt, 3x Kölle Alaaf!

Text und Bilder: Antje Hansen

(Mit freundlicher Genehmigung von Playmobil und dem Historischen Archiv der Stadt Köln.

Erstveröffentlichung 2021 in dem Bugazin Endlich Köln, Eifeler Literaturverlag)